Wie die Familie Post zur ROKAL-Modellbahn kam
oder
Modellbahn unterm Weihnachtsbaum ? Nein, es war ein Geburtstagskuchen !

Zu Beginn der 60er Jahre war mein Großvater stolzer Besitzer einer Metzgerei in dem kleinen Ort Okriftel am Main. Wie es sich für einen geschäftstüchtigen Mann gehörte musste man sich zu gegebener Zeit bei seinen Stammkunden revanchieren, "die Kundschaft beehren", wie er es nannte.
Als dann für den dritten Geburtstag meines älteren Bruders dringend ein Geschenk benötigt wurde, war klar, dass dies im Geschäft des ortsansässigen Dorf-Fotografen gekauft werden musste, denn dieser hatte neben seinem Fotoatelier noch eine kleine Spielwarenecke im Laden. Die Auswahl muss wohl recht überschaubar gewesen sein und ob noch andere Modellbahnfabrikate angeboten wurden konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

So ergab es sich, dass mein Großvater dann mit einer ROKAL-Startpackung nach Hause kam: eine BR89 mit 2 oder 3 Donnerbüchsen nebst Fahrregler und Gleisen (vermutlich Startset "Junior A" oder Personenzug-Packung 01110). Das Bähnchen drehte dann zur allgemeinen Freude der Familie seine erste Runde auf einem Tisch um den mit drei Kerzen geschmückten Geburtstagskuchen. Dass der Bub mit 3 Jahren eigentlich noch viel zu klein für die Modellbahn war, hat nicht weiter gestört. Hauptsache war : die Geschäftsbeziehungen zwischen Metzgerei und dem Spielwarenladen ( bzw. Fotoatelier) florierten bestens, denn sowohl frische Fleisch- und Wurstwaren wie auch weiteres Modellbahnzubehör waren in der kommenden Zeit stets gefragt.

Bild unserer alten ROKAL-Anlage (ca. 1975)

Ich selbst bin erst 4 Jahre nach diesem bedeutsamen Ereignis zur Familie gestoßen. Als Jüngster von drei Brüdern ist die Bahn dann mehr oder weniger in meinen Besitz übergegangen. Denn während die beiden Großen sich zunehmend für andere Hobbys wie z.B. Schallplatten oder das weibliche Geschlecht interessierten, hatte ich mich noch eine ganze Zeit lang weiterhin mit der ROKAL Bahn beschäftigt.

Gerne erinnere ich mich noch heute an die große Aufregung wenn, wie jedes Jahr in der Adventszeit, die große Holzplatte mit den Gleisen vom Dachboden geholt und im Keller aufgebaut wurde. Dann wurden die Häuser aufgestellt, Gleise gereinigt, gebastelt, gespielt, repariert.

Ein festes Ritual gab es am Heiligabend: Wie ja hinlänglich bekannt ist, darf das Christkind beim Platzieren der Geschenke unter dem Weihnachtsbaum nicht gestört oder gar gesehen werden. Deshalb verzog sich der jüngere Teil der Familie nach dem Abendessen in den Eisenbahnkeller und die ROKAL-Bahn durfte dort ein paar Runden auf der Anlage drehen. Sobald das Christkind sein Werk vollendet hatte durften wir dann zur Bescherung wieder das Wohnzimmer betreten, in gespannter Erwartung, ob in den vielen bunten Päckchen vielleicht das ein oder andere Modellbahnwägelchen oder gar eine Lok verpackt sein könnte.

Im neuen Jahr wurde die Modellbahnanlage dann aus Platzgründen leider wieder abgebaut und auf den Dachboden gelagert. Insofern sind für mich bis heute Weihnachten und die Modellbahn untrennbar miteinander verbunden.

Und so ist es heute immer noch Tradition, dass sich die Familie jedes Jahr nach dem Abendessen an Heiligabend in den Modellbahnkeller zurückzieht, um dem Christkind beim Platzieren der Geschenke unter dem Weihnachtsbaum die dringend benötigte Diskretion zu verschaffen.